Vergasergeschichten
Kreative Sauerei. Den Kraftstoffstand auf der Werkbank „nass“ messen und einstellen.
Am Schluß werden einige sagen, „Ach du Sch…., was ein umständlicher Kram.“ oder etwas ähnliches denken. Wenn sie überhaupt bis dahin gelesen haben. Tja, Leute, zugegeben, das sieht alles ziemlich nerdy aus, aber ich hab das nicht erfunden. Das ist altes Handwerk aus der Vor-Benzineinspritzung-Ära des Motorenbaus. Und es gehört zu der viel diskutierten „Vergasereinstellung“, ist also kein „nice to do“, sondern praktisch die Basis für alle weiteren Einstellungen der Gemischversorgung.
Werkstätten mit Vergaser-kundigem Personal muss man heute lange suchen. Damals hatte ich eine Vergaserwerkstatt gefunden, tatsächlich, sowas gab es mal. Es stand zwar Solex dran, aber die machten auch andere Fabrikate, wenn ich die Teile mitbrachte. Vor ein paar Jahren haben sie zu gemacht. Ab da kam es dann nicht mehr drauf an, dass ich Selbermachen grundsätzlich für eine gute Idee hielt. Jetzt waren genug Gründe da, die Herausforderung anzunehmen. Außer ein paar Blättern Dichtungspapier und ein wenig Know-how gab es nichts zu erben bei der Geschäftsaufgabe der Solex-Werkstatt.
In Vorbereitung meiner eigenen Gehversuche und für geistigen Input besorgte ich mir „den Robinson“ und „den Stoffregen“ (siehe unten), beides anerkannte Werke zum Thema. Als Hardware entstand eine Halterung für Vergaserbänke im Schraubstock, eine Aufhängung für Benzinflaschen oben drüber sowie eine Auffangschale darunter. Vervollständigt wurde das Ganze durch ein Sortiment Plastikschläuche aller relevanten Größen. Alles kein wirklich großer Aufwand.
Die ersten Opfer waren meine Katana-Viererbank und die Vergaserpärchen mehrerer Chopper-V2-Motoren. Nach Erfolgen mit meinen eigenen kamen auch die von Bekannten dran. Allesamt waren nachher glücklicher als zuvor, Maschinen wie Eigner. Voraus gegangen war jeweils mehr oder weniger vollständiges Zerlegen, Reinigen und der Zusammenbau mit neuen Schwimmerventilen, je nach Zustand auch mit weiteren Neuteilen. Wie fast alles selbst gemachte, haben die Erfolge natürlich extremen Spaß gemacht und zum wiederholen animiert.
Kraftstoffstand 2,0 mm +-1 mm unter der Dichtung. So lautet die Vorgabe im Wartungsbuch für die XJ 550 Typ 4V8. Das +- gibt eine zulässige Toleranz an, weil das so ganz genau keiner mit vertretbarem Zeitaufwand hinkriegt. Das heißt, der Stand soll 1 bis 3 mm unter der Dichtungsfläche sein. Um alle Klarheiten zu beseitigen, und bei vollem Risiko, mich zu wiederholen, hier nochmal eine Begriffsdefinition.
Schwimmerstand (auch Schwimmerhöhe) ist die Höhe der Schwimmeroberkante über der Dichtungsfläche, rechtwinklig zu dieser gemessen, bei geöffneter Schwimmerkammer und umgedrehtem Vergaser. Dabei muss man den Vergaser in einer Schräglage halten, dass die Schwimmerzunge auf dem gefederten Stift der Schwimmernadel aufliegt, ohne ihn jedoch einzudrücken. Die Messung wird auch „trocken“ genannt, wegen der Abwesenheit von Benzin.
Kraftstoffstand (auch Benzinstand) ist das Benzin-Niveau in der Schwimmerkammer, außerhalb sichtbar gemacht mit einem durchsichtigen Schlauch, der am (geöffneten) Ablaufstutzen angeschlossen ist. Dabei gehört zu der Maßangabe der Zusatz "unter der Dichtung" oder "über der Dichtung" bei Horizontalvergasern oder "unter/über der Marke" bei Fallstromvergasern. Diese Messmethode nennt man wegen der Benzinfüllung auch „nass“.
Aber nun endlich zur Tat.
Der Aufbau zur Messung.
Die folgenden Fotos sind nicht alle von meiner 550er. Davon gibt’s nicht genug. Macht aber nichts, das Prinzip ist immer gleich.
Die Vergaserbank sollte noch keine Schieber, Membranen und deren Deckel enthalten. Da sie im Folgenden mehrmals gedreht wird, empfehle ich, sie zu nummerieren. 1 bis 4 von links nach rechts auf die Eintrittöffnung gesehen, entspricht auch den gängigen Zylindernummern. Mit welchem Provisorium die Bank während der Messungen in einer stabilen Lage gehalten wird, da sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Hier ist es ein Brett, zwei große Schrauben und eine Schraubzwinge. Wichtig ist nur, die Lage soll so sein wie im eingebauten Zustand. Horizontalvergaser sind ja nicht immer genau horizontal eingebaut. Die der 550er haben leichtes Gefälle zur Austrittseite. Und die Lage muss bei jedem folgenden Testaufbau wiederholbar sein. Die Ablaufschrauben müssen eine Vierteldrehung geöffnet sein und können während der ganzen Aktion so bleiben.
Die Mikunis der 550er haben keine Ablaufstutzen an ihren Schwimmerkammern, nur Löcher. Das ist Sch...ade. Mancher hilft sich mit Plastik-Schlauchnippeln, in die Öffnungen gesteckt. Da passen dann 8er Schläuche drauf. Bei mir hat es mit dieser Variante, Schlauch plus O-Ring geklappt. Wo und wie das obere Ende der Schläuche befestigt ist, - du hast´s erraten – ist ebenfalls völlig frei. Von Wäscheklammern über Klettband, Klebestreifen bis Bindedraht ist alles erlaubt, was hält und wieder lösbar ist.
Die Benzinzufuhr ist ebenso improvisiert und frei gestaltbar. Auch sie muss ja evtl mehrmals entleert, abmontiert und nochmal angeschlossen werden. Die Benzinfüllung fließt in die Schwimmerkammern und die Messschläuche, und wo sie zum stehen kommt, sollte man abmessen und sich notieren. Für die oben gezeigte Messung sähe das dann so aus:
Die Referenz (Dichtung) ist bei 54 mm, das Benzin steht bei 45 mm, ergibt 9 mm am Vergaser Nr.2. Da die Vergaser mit Gefälle aufgebaut sind, und die Mitte der Dichtungsfläche zählt, muss ich je einen Millimeter abziehen.
Ich notiere
1 = 4
2 = 8
3 = 5
4 = 5 (jeweils Millimeter unter der Dichtung)
Nun baue ich den ganzen Krempel ab und drehe die Vergaserbank rum. Sie liegt flach und stabil ohne zu wackeln. Ah, deshalb sind noch keine Deckel oben drauf. Weil alle vier Werte noch nicht stimmen, mache ich alle vier Schwimmerkammern auf.
Der Ist-Wert liegt tiefer als der Sollwert, da muss das Ventil „später“ schließen, d.h. mehr Sprit rein lassen. Die Schwimmerzunge, die die Schwimmernadel betätigt, muss hoch. Weil´s ja jetzt auf dem Kopf liegt. Das ist bei diesen Vergasern im eingebauten Zustand problemlos zu machen. Mit zwei kleinen Schraubendrehern, hier und hier (rote Pfeile) angesetzt, die Zunge hoch biegen. Der Haken an der Sache ist nur – das Blech ist elastisch. Man merkt nicht, wie viel es zurück federt. Da hilft nur messen. Vorher und nachher.
Und zwar mit dem Tiefenmesser der Schieblehre. Und natürlich aufschreiben. Das Vorher-Maß und das Nachher-Maß. Tja, der Zettel wird lang, tut mir leid, aber hilft ja nix.
Hier mal am ausgebauten Teil gezeigt, um welches Maß es geht. Und nochmal festgehalten, in welche Richtung es muss. Von der Schwimmernadel weg biegen bewirkt einen höheren Kraftstoffstand, zur Schwimmernadel hin einen niedrigeren.
Es ist mir noch nicht gelungen, ein festes Verhältnis heraus zu finden zwischen Blechbiegemaß und Benzinstand. Demnach führt nur probieren zum Ziel. Den ganzen Beddel nochmal aufbauen, füllen, messen, ablesen und notieren. Dann die Werte vergleichen und Korrekturen berechnen. Als Nächstes abbauen, nach den Korrekturen biegen und zur dritten Messung aufbauen. Manchmal war bei mir dann schon alles ausreichend gut, oft musste aber eine vierte Messung her. So kriegt man auch den Samstagnachmittag rum. Beim ersten mal war´s echt spät.
Zwischendurch mal mit einem Schraubenziehergriff an die Vergasergehäuse klopfen simuliert die echten Motorvibrationen. Ändert auch manchmal die Messwerte und lässt einen verzweifelt in den Notizblock beißen.
Zum Schluß lasse ich immer eine Viertelstunde Druck drauf stehen. Es gab schon Fälle, wo dann eins der Ventile undicht wurde. Grund waren winzige Fasern im Ventilsitz. Passiert, weil mal nicht alles peinlich sauber war.
Vorsicht! Das Wort Sauerei steht nicht umsonst in der Überschrift. Bei der ganzen Einstellerei kann der Benzinstand auch mal zu hoch geraten. Dann droht Überlauf und es kommt hinten heraus geflossen. Das große Kuchenblech aus dem Elektroherd eignet sich gut zum auffangen. Mutti wird’s schon nicht gleich merken. Es erleichtert auch das gleichzeitige entleeren aller vier Messschläuche nach den Messungen. Größere Mengen Küchentücher und einen benzinbeständigen Mülleimer sollte man trotzdem bereit halten. Und nie ohne Nitrilhandschuhe im Benzin herum planschen.
Ach so, die Ablassschrauben wieder zudrehen, nicht vergessen.
Verwendete Quellen: Eigene Fotos, Mündliche Auskünfte vom besten aller Meister Joachim Weber vom Motorradcenter Darmstadt, Motorradtechnik von Jürgen Stoffregen Verlag Vieweg, Motorradvergaser von John Robinson Verlag Delius Klasing, Reparaturanleitung Band 5086 Verlag Bucheli, diverse Wartungsanleitungen von Yamaha.
Gruß von Eddie.