Prolog
In den siebziger und achtziger Jahren als jüngstes von vier Kindern auf dem Lande aufgewachsen, empfand ich stets Ehrfurcht vor den Freunden meines großen Bruders, die geradezu tollkühn mit ihren kickstartbewährten 80`er Crossmotorrädern durch die alte Kieskuhle am Ortsrand frästen.
Meine Freunde und ich taten es ihnen nach, mit alten Klapprädern, alles Überflüssigen befreit und mattschwarz lackiert.
Wir waren Helden der Wildnis, sprangen über im Sand gebaute Rampen und jagten johlend über die Weiden, derer es zu Hauf gab und die so manchen Kuhfladen im Gras verbargen.
Viele wurden von Reifen zerteilt. Sehr zum Gelächter aller und schlecht für denjenigen Fahrer, der tatsächlich auch die Schutzbleche seiner zweigangrücktrittgeschalteten „Crossgieke“ mit dem Hammer demontiert hatte (Maulschlüssel waren nicht immer zur Hand).
Als einer „der Großen“ zum Spaß bereits in der Nacht vor dem dörflichen Osterfeuer den großen Brennholzhaufen entzündete, blieben mir zum Atmen die Luft weg und der Mund vor Staunen offen…
Was für Teufelskerle die doch waren.
Immerhin, mein Vater lehrte mich das Reifenflicken, war er doch seinerzeit vielfach mit den Pfadfindern in Schweden auf Radfahrten gewesen und es nun wohl auch leid, seine knappe Zeit wiederholt mit meiner Crossgieke zu verbringen.
Ich bewunderte seine unglaublich Kraft, den Mantel nur mit den Händen und ohne jedes Werkzeug wieder auf die Felge zu bringen.
Damals mein ganzer Stolz: ein vom Taschengeld eisern zusammengespartes BMX-Rad. Ein Raleigh für ungeheure 199DM.
Im Wheelie brachte ich es nie über drei Meter, aber im Weitsprung blieb ich lange ungeschlagen.
Ansonsten bekam ich wenig handwerkliche Bildung, wurde in unserem Hause doch eher von Gott gepredigt und für den alljährlichen Kirchenbasar gehäkelt.
Mein Patenonkel schenkte mir zum neunten Geburtstag eine Laubsäge und entfachte damit die ersten zarten Funken meiner bis heute andauernde Liebe zum Holz.
Ich war etwa dreizehn, als ich erstmals ein Motorrad fuhr (oder besser: es mich), besaß doch die Schwester eines Freundes eine 80`er Crossmaschine.
Das Standbein musste den Boden verlassen wenn ich den Kickstarter durchzutreten versuchte.
Welch Schmerz mich durchschoss, wenn der Starthebel gegen das nackte Schienbein zurückschlug. Aber welch archaische Kraft unter mir explodierte, wenn der startenden Tritt gelang!
Wahre Macht und Größe erfüllten mich, bis mein Ritt auf der brachliegenden Fläche hart und abrupt durch einen Kieshügel gestoppt wurde, hatte ich doch voller Enthusiasmus aber auch nahezu panisch den Gasgriff gepackt, als das Geschoss nach vorn eilte…
Nach Abschluss der Realschule ging ich bei einem Tischler in die Lehre, brach diese aber schon nach nur einem Jahr ab.
Der Tonfall in Werkstatt und auf der Baustelle waren mir zu rauh, ich nahm mir alles zu Herzen und zweifelte an mir selbst.
Mit Schrecken denke ich heute noch an den „Alten“ zurück, wenn er wieder einen der Gesellen oder gar mich selbst zusammenbrüllte.
Natürlich forderten die Eltern, dass ich nicht einfach nur „zuhause rumsitzen“ dürfe und so schrieben sie erst die Kündigung für ihren Jungen, nachdem sie ihm einen Platz auf der weiterführenden Schule gesichert hatten.
Bis dahin fuhr ich brav jeden Tag der letzten vier Wochen in die Tischlerei, ständig in der Angst, etwas nicht richtig oder schnell genug zu machen oder dem Alten unter die Augen zu kommen.
Schwänzen wäre mir nie in den Sinn gekommen.
Vielleicht war er sogar froh, mich vor der Zeit wieder los zu sein, gesagt hat er es jedoch nicht.
Aber seine Wut, statt des neuen Firmenwagens leider in mich als Lehrling investiert zu haben, die brüllte er mir am letzten Tag noch über den Hof nach.
Zitternd ging ich nach Haus, froh, ihm endlich entkommen zu sein.
Die weiterführende Schule war ein sog. Technisches Gymnasium.
Ich wählte den Kurs „Motorkunde“; „Elektrotechnik“ hatte viel zu sehr mit Mathe zu tun.
Hier hörte ich erstmals von Zwei- und Viertaktern und dass die besten Schiffsdiesel der Welt in einem Bergtal in der Schweiz gebaut würden…
Nach dem Abitur trat ich den Zivildienst an und verließ das Elternhaus.
Im Rahmen des Umweltschutzes pflegte und erweiterte ich einen Biotoplehrpfad, mähte den Volleyballplatz des Kinder- und Jugendfreizeitheims, erledigte kleine Hausmeisterarbeiten und errang meinen ersten Bandscheibenvorfall bei der Anlage einer „schafsdichten Feldgehölzhecke“.
Im zweiten Anlauf absolvierte ich dann doch eine Lehre, diesmal in einer Tischlerei für Vollholzmöbel mit ökologischen Oberflächen.
Das Holz dieser Möbel hatte bei Anlieferung noch moosbewachsene Rinde an den Seiten und im Oberflächenraum duftete es nach Citrusschalen- und Leinölen.
Allein der allgegenwärtige Zeitdruck machte es mir schwer, meine Arbeit auch mit Freude anzugehen. Zu einer komplexen Konstruktionszeichnung auch gleichzeitig die Stundenkalkulation in die Hände zu bekommen, dämpfte den Elan.
Der ersten fügten sich im Lauf der Jahre noch zwei weitere kaputte Bandscheiben hinzu, wegen Ausfallerscheinungen im rechten Bein kam es letztlich sogar zur OP und beruflichen Neuorientierung.
Grob in diese Zeit fiel mein Motorradführerschein.
Nach bestandener Prüfung fuhr mein Fahrlehrer eine gebrauchte BMW für mich Probe und befand sie in Ordnung.
Mein Budget war damit erschöpft, aber ich durfte nun eine BMW K75 mit 750 Kubik und strotzenden 75PS mein Eigen nennen.
BMW K75, die Zivilversion der damaligen Polizeimaschine
Nach zweijähriger Nutzung bot mir der die Fachwerkstatt einen Ankauf, da die Maschine mit verhältnisgemäßen Kosten im Grunde nicht vor dem TÜV-Aus zu retten sei.
Bar jeden Schrauberwissens und in Unfähigkeit, die veranschlagten Kosten zu erbringen, verkaufte ich schweren Herzens.
Zum Spottpreis, natürlich.
Bei einer späteren Motorradmiete in gleichem Hause erfuhr ich von dort selbst, dass meine Maschine ohne jeden weiteren werkstattlichen Handschlag ins Ausland verkauft worden sei.
Ich fühlte mich bitter betrogen.
Meine berufliche Laufbahn im Handwerk endete aus genannten Gründen, ein Studium führte zu neuen Aufgaben.
Heute weiß ich, dass die (Hoch-)-Sensibilität, die mir jahrelang und unverstanden wie ein Fluch erschien, durchaus auch eine Gabe sein kann.
Es kommt immer darauf an, seine eigenen Fähigkeiten erkennen und sinnvoll einsetzen zu lernen.
Bei mir ein langer Weg. Wie ich nun weiß, nicht untypisch für HSPs.
Es wuchs die eigene Familie, die Stadtmieten stiegen, wir fanden ein kleines Häuschen auf dem Lande.
Dort war zunächst einige handwerkliche (Eigen-)Arbeit zu verrichten und die gemeinsamen Wochen auf der Baustelle mit meinem Schwiegervater waren trotz aller Mühen ein Genuss und eine sehr bereichernde Zeit.
Alleinverdienend eine Familie ernährend und einen Kredit abtragend verabschiedete ich mich im Stillen von der Hoffnung, je wieder ein eigenes Motorrad zu besitzen.
Bis dann eines Tages meine Frau sagte:
„Hier, nimm und kauf Dir wieder ein Motorrad. Ist ja nicht auszuhalten, wie Du jeder Maschine sehnsüchtig hinterherguckst.“
Nach kurzer Suche fand sich ein passendes Motorrad und wurde gekauft. Wenig später erfolgte die Anmeldung im XJ-Forum.
2012
Als der erste TÜV anstand, fragte ich Gerhard aus HH an, die Diva im Vorfeld mit mir durchzugucken.
Beim Versuch, den Tank zu demontieren, zerbröselte der Griff meiner vor Urzeiten erworbenen Flohmarktknarre und kurzerhand suchten wir eine Filiale der Tante auf, um mir einen ersten Satz Schrauberwerkzeug zuzulegen.
Damit ging es los und unter seiner Anleitung erledigte ich meinen allerersten Ölwechsel. Inclusive Filter!
Inzwischen habe ich so einiges allein geschraubt. Immer wieder wir beiden auch zusammen, sei es an meiner oder auch an seinen Maschinen.
Und wenn wir auch vom Vorgehen her kaum unterschiedlicher sein könnten, geht es doch prima gemeinsam.
Wenn ich diverse Plastikdosen bereitstelle, damit wir bei seinem Motortausch genug sortierte Ablagen zur Verfügung haben, reicht ihm ein großer Eimer.
Alles rein, findet schon wieder seinen Platz.
Über mein entsetztes Gesicht kann er da nur schmunzeln.
Aber wir können gut Hand in Hand. Und meine tausend Fragen erträgt er geduldig.
So kann`s also auch gehen.
Naja, den Rest kennt Ihr hier aus dem Forum.
Bei meinen Schraubereien liegen Haynes und Kamera stets zur Hand.
Resultiertes findet Ihr ja auch in meiner Signatur und diversen Fragethreads.
Lernen geht eben Stück für Stück.
Aber ich wäre nicht ich, wenn ich nicht jedes Mal vor dem Schrauben aufgeregt wäre, habe ich doch schon früher gern vieles zerlegt, aber meist nie wieder ordentlich zusammen bekommen.
Und am Motorrad MUSS es klappen, hängt doch zu vieles davon ab.
Immerhin, seit Kauf der Diva und dem damals gleich notwendigen frischen Lenkkopflager hat sie keine gewerbliche Werkstatt mehr von innen gesehen, was mich schon ein wenig mit Stolz erfüllt.
Für viele von Euch nichts Besonderes, sind für mich doch jede Reparatur, Wartung, jeder Umbau doch ein innerer Angang und eine Hürde.
Ich bin eben nicht in einer Schrauberfamilie aufgewachsen und immer mit Zuversicht und Experimentierfreude gesegnet.
Gleichzeitig ist da der Wunsch, zu lernen!
Und zu lernen gibt es natürlich noch vieles!
Schon seit geraumer Zeit habe ich Such-Abos bei verschiedenen Internet-Gebrauchtfahrzeugseiten laufen, um mir nach und nach eine Übersicht über den 600`er Diva Markt zu verschaffen.
Fazit: Unerschwinglich für mich.
Manches würde ich mir an meiner Diva ja schon gern mal näher angucken.
Aber ich werde doch nix aufmachen, was bisher ausreichend (ruckelndes Beschleunigungsverhalten bei 3000 U/min auf den ersten kalten Kilometern) oder einfach gut läuft (alles andere)…
Dann passierte DAS im Forum:
„Ich verschenke meine XJ600 Diversion vom Baujahr 92. Die Maschine hat ca. 72.000 Km auf dem Buckel, ist voll fahrfähig - allerdings seit Mai ohne TÜV (kommt sie aber problemlos durch, seit letztem TÜV ca. 2.000 Km gelaufen).
Einige Teile sind in gutem bis sehr gutem Zustand (z.B. hintere Bremsscheibe, Reifen vorne und hinten), andere
wiederum weniger (Auspuff zerkratzt, Motor leicht Öl feucht). Originale Seitenkoffer von Yamaha gebe ich ebenfalls mit dazu.
Die Maschine steht in Düsseldorf, Eller. Die Maschine hat mal auf der Seite gelegen (vom Vorbesitzer), daher sind einige Kratzer am Auspuff vorhanden. Ich selbst habe die Maschine seit 2010 gefahren. Es sind nicht alle Wartungsarbeiten von einer Werkstatt dokumentiert (da einiges in Eigenregie durchgeführt wurde), jedoch habe ich alle Arbeiten mit Datum und KM Stand festgehalten. Mehr Infos anhand der Bilder.
Gruß B.“
Also schnell eine PN an den Inserierenden geschickt und danach eine beschwörende WhatsAppNachricht an Stan_Ac:
„Hypnotisch guck: Nein, Oli. Nein Oli. Die 92`er Diva, die in Düsseldorf zu verschenken ist… nein, die willst Du nicht…“
Aber ich war zu spät, er hatte schon Kontakt aufgenommen…
Tags darauf eine WhatsApp von ihm an mich, sie erreichte mich im Urlaub: Foto der grauen Diva. Eindeutig in seinem Transporter.
Darunter der Satz:
„Wenn Du möchtest, ist das Dein Lernobjekt.“
UNFASSBAR!
Und wie ich möchte!
Ich bekomme eine zweite Diva!
Mich zieht es zwischen Vorfreude und Zweifel hin und her (wieder mal…).
So eine Riesenchance, so ein Glück!
Ich kann schrauben und lernen, ohne „meine Gute“ dafür aufmachen zu müssen.
– Aber krieg ich das auch alles hin? Was ist überhaupt zu machen?
Was ist das da für ein Fleck auf dem Foto direkt unter dem Motor? Schon alt oder frisch von der Grauen? Nur Ölablasschraube oder doch Ölwanne?
Muss ich wirklich den Motor aufmachen, um Dichtungen zu tauschen?
Kann ich mir alle notwendigen Teile leisten?
Ist das angesichts unserer finanziellen Situation überhaupt vertretbar, darf ich mir soviel einfach aus Spaß an der Freude erlauben? (Im September kommt auch noch der Dachdecker…)
Bis wann will ich sie fertig haben und wann sollte ich sie anmelden, damit mich die folgenden TÜV-Termine nicht in Stress bringen?
Wie kriege ich die alte Garage wintertauglich? Einen ordentlichen Betonboden haben wir ja immerhin schon mal gegossen, vorher kam die Nässe da von unten hoch und mein Motorrad stand feucht.
Und überhaupt, wozu sollte ich zwei Motorräder gleichzeitig angemeldet haben? Gibt ja nur einen Fahrer.
Und was erwarten Stan_Ac und das XJ-Forum? Da wurden ja schon Forderungen nach detaillierten Anleitungen laut.
Oha, da kommt was ja auf mich zu.
Affenge*l!
Ich fang gleich mal an, mich vorzubereiten… Das geht auch im Urlaub.
Nachtrag.
Nach intensivem Nachdenken kriegt die Graue nun auch einen Namen: Polly, angelehnt an Polly McMaus aus Robbi, Tobbi und das Fliwatüüt.
Von wegen technische Geschichte, Abenteuer, Kindheitstraum und so.
(... und der Urlaub ist leider schon wieder vorbei... )